Antike Mythen – Grimmsche Sagen – Digitales Erzählen
01|12|2017 - 27|05|2018
Sonderausstellung
Mit der Sonderausstellung anlässlich 200 Jahre »Deutsche Sagen« der Brüder Grimm lenkt die GRIMMWELT den Blick der Besucher*innen auf das zweite große Sammelwerk der Brüder Grimm.
Denn was nur wenige wissen: Jacob und Wilhelm Grimm hinterließen neben ihrer Märchensammlung auch eine umfangreiche Veröffentlichung von Sagen. Die beiden Bände von 1816 und 1818 sind Ausgangspunkt für eine anschauliche Spurensuche in der GRIMMWELT, gleichermaßen geeignet für Erwachsene und Kinder.
Die von Susanne Völker kuratierte und mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern gestaltete Ausstellung spannt den Bogen ausgehend von den »Deutschen Sagen« der Brüder Grimm sowohl zu den Ursprüngen der Erzählform, den antiken Mythen, als auch zu modernen Erscheinungen der Sage wie den »Fake News«.
Die Ausstellung zeigt in vier Bereichen Variationen des Erzählens als Grundkonstante menschlichen Verhaltens und spürt unter dem Titel »HörenSAGEN« auch spielerisch den Erzählstoffen und Interpretationen von Sagen nach: Bis ins 18. Jahrhundert wurden Sagen hauptsächlich mündlich weitergegeben. Dabei haben sie sich von Sprecher*in zu Sprecher*in verändert. Ein »wahrer Kern« umgeben von fantasievoller Ausschmückung ist bis heute eine beliebte und alltägliche Erzählform.
Dieser Bereich zeigt die Brüder Grimm als Sammler und Erforscher von Sagen. Die beiden erfassten erstmals Sagen systematisch und wiesen ihnen ihre heutige Bedeutung zu – als mündlich tradierte Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt höher einzuschätzen ist als der von Märchen.
In ihre Sammlung nahmen sie unter anderem die Sagen vom Rattenfänger von Hameln, Eginhard und Emma sowie zahlreiche Erzählungen über die Welt der Zwerge und den Teufel auf – aber auch gleich fünf Sagen von Frau Holle – in der Präsentation raumgreifend als Papierarbeit der Berliner Künstlerin Katrin Binder interpretiert.
Die wertvollen Originale der beiden Bände Deutscher Sagen werden hier in der Erstauflage von 1816 und 1818 gezeigt.
In allen Kulturen widmen sich Mythen den großen Themen der Menschheit: Schöpfung, Liebe und Tod sowie Entstehung von Gut und Böse.
Ursprünglich dienten Mythen der Erklärung von Naturerscheinungen und Weltbildern. Viele haben dauerhaft Spuren in der Kulturgeschichte, unserer Zivilisation und unserem Sprachgebrauch hinterlassen: Narziss‘ Selbstliebe, die Sisyphos-Aufgabe oder Prometheus als Figur, der den Menschen mit dem Feuer auch die Zivilisation brachte, sind nur einige Beispiele dafür.
Die Präsentation zeigt die Wandlung von Mythen und ihrer künstlerischen Interpretationen durch die Epochen in Radierungen, Gemälden und Zeichnungen unter anderem von Ludwig Emil Grimm, Heinrich Friedrich Füger und Johann Heinrich Tischbein d. Ä.
Gestaltet vom Berliner »Studio TheGreenEyl«, thematisiert der Bereich über die heutige Zeit die rasante Verbreitung von Geschichten im Zeitalter der digitalen und sozialen Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter.
In die hier erzeugten Erzählstrukturen kann zwar jeder eingreifen, doch bergen sie auch Herausforderungen bei der Bewertung des Wahrheitsgehalts. Die Anzahl der Erzähler*innen steigt ins Unendliche – und nicht alle Erzähler*innen in diesem System sind menschlich.
Die Präsentation führt den Besucher*innen vor Augen, wie Störungen entstehen, die zu unerwarteten Ergebnissen führen und die Geschichten verfremden: Bewusst oder unbewusst wird der Wahrheitsgehalt vieler Aussagen beeinflusst. Irrtümliche Falschmeldungen und gezielt herbeigeführte »Fake News« sind die Folge.
Sagen sind kurze Erzählungen, die vom Einbruch des Übernatürlichen und Unerklärlichen in die Welt des Menschen berichten.
Besondere Ereignisse, ungewöhnliche Verhaltensweisen und mystische Erscheinungen werden in ihnen beschrieben. Kennzeichnend sind ihre Bindung an Orte, Zeiten oder historische Personen, die jedoch nicht beglaubigt sind. Damit setzen Sagen andere Schwerpunkte als Mythen und Märchen, die frei von realen Bezügen eine fiktive Welt entstehen lassen. Die Verfasser*innen der Sagen sind meist unbekannt. Wie das Märchen und der Schwank zählt die Sage zur Volkspoesie. Klare Abgrenzungen zwischen diesen sowie den Mythen und Legenden sind nicht möglich. Oft wirken Personen oder Handlungsstränge von einer Erzählform in die andere.
Der wissenschaftlichen und technischen Welterschließung zum Trotz fasziniert die Sagenbildung auch heute noch: von den »Urban Legends«, den Großstadtmythen, bis hin zu den »Fake News« der digitalen und sozialen Netzwerke. So wird einmal mehr gezeigt, dass das Erzählen zu den Grundkonstanten menschlichen Verhaltens gehört.
An der Sonderausstellung »HörenSAGEN« sind folgende Künstlerinnen und Künstler beteiligt:
Katrin Binder, geb. 1975, studierte 1999-2006 an der Kunsthochschule in Kassel und von 2003-2005 am Sichuan Fine Arts Institute in Chongqing/China. Eine intensive Auseinandersetzung mit der chinesischen Tuschmalerei und die Berührung mit daoistischen Philosophien beeinflussen bis heute ihr künstlerisches Schaffen. Ihr Ausgangsmaterial ist immer Papier, das sie nicht nur mit verschiedenen Techniken bearbeitet, sondern vielfach auch zerschneidet. Durch die langsame Herstellungsart und Fragilität stellen diese Papercuts auf ihre eigene Weise Zeit und Zerbrechlichkeit dar. Katrin Binder lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Arbeiten sind regelmäßig in Ausstellungen zu sehen.
www.katrin-binder.de
Rita Fürstenau arbeitet als freiberufliche Illustratorin und Designerin in den Bereichen Buch- und Oberflächengestaltung. Sie zog 2001 für ihr Studium nach Kassel und studierte an der Kunsthochschule Illustration sowie an der Universität Grundschullehramt und Erziehungswissenschaft. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit arbeitet sie als Verlegerin und leitet den von ihr 2007 mit gegründeten Verlag Rotopol für grafisches Erzählen mit angeschlossener Ladengalerie in Kassel. Unter ihren eigenen bei Rotopol erschienenen Arbeiten finden sich neben Büchern und Heften auch Papierspiele, Postkarten sowie handbedruckte Skizzenhefte und Textilien.
www.rita-fuerstenau.de
Michael Meier lebt und arbeitet seit über 10 Jahren als freier Illustrator und Comiczeichner in Kassel. Er hat an der Kunsthochschule Kassel studiert und war Meisterschüler bei Hendrik Dorgathen. Seine Arbeiten, die er für internationale Kunden anfertigt, reichen von Illustrationen für Kinder über Editorial-Illustration und klassische Buchillustration bis hin zu Animation und Character Design. Darüber hinaus war Michael Meier 8 Jahre als Verleger und Kurator tätig.
www.mrmeier.com
Daniel Stieglitz ist Illustrator, Autor und Regisseur. Neben Illustrationen für Kinderbücher, Zeitungen, Fernsehen und Werbung erstellt er als live-Zeichner auf Veranstaltungen Portrait-Karikaturen oder graphic-recordings. An der Kunsthochschule Kassel hat er in den Bereichen Film, Trickfilm und Illustration studiert und abgeschlossen. Er lebt mit seiner Familie in Kassel und arbeitet zurzeit an seinem zweiten Roman.
Studio TheGreenEyl gestaltet raumgreifende Installationen und Ausstellungen, die komplexe Themen und Inhalte in sinnliche und räumliche Erfahrungen übersetzt. Dabei spielen die ästhetischen Potentiale neuer und etablierter Technologien eine herausragende Rolle. Durch Recherche, Experiment und Kooperationen mit verschiedensten Disziplinen entstehen radikal neue Formate im Ausstellungskontext.
www.thegreeneyl.com
Ole Werner hat Möbel- und Ausstellungsdesign an der Kunsthochschule in Kassel und dem Ravensbourne in London studiert. Seit 2003 arbeitet er als freier Ausstellungsgestalter für Kunden im In- und Ausland und entwickelt, fertigt und implementiert Exponate und Installationen, die komplexe Themen spannend und wirkungsvoll aufbereiten – vom statischen Modell bis zu interaktiven, multimedialen Erlebniswelten.