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Morgen | 15.00 Uhr

Die GRIMMWELT von A-Z

Sonder­ausstellung

Titelmotiv zur Ausstellung Licht-Bilder

Licht-Bilder

Vom 30. November 2024 bis zum 6. Juli 2025 präsentieren wir in unserer Sonderausstellung das Werk des Berliner Künstlers Alexej Tchernyi.

Dauerausstellung

Mutter und Kind schauen sich Märchenbücher im Bereich VOLKSMÄRCHEN an.

Erlebnisraum GRIMMWELT

Hier kommen die Brüder Grimm in der Jetzt-Zeit an: Künstlerisch, interaktiv und multimedial vermittelt.

  • Sonderausstellung

»Fantastische Welten - Das IMAGINARIUM des Theaters der Brüder Forman und ihrer Freunde«

Sonderausstellung 09|05|2024 - 13|10|2024

Schon im Eingangsbereich der GRIMMWELT empfängt die Besuchenden derzeit ein riesiges, betretbares Schiff. An der Außenwand der Installation befinden sich kleine Hebel, und wer sich traut, sie zu betätigen, setzt die kleine Welt auf dem Schiff in Gang - den Schiffsmotor ebenso wie die Musikanten.

Die Theaterkulisse des Künstlers Josef Sodomka erzählt von der Welt der Seefahrt und ist die Eintrittskarte in die Welt des IMAGINARIUMs, der erfolgreichsten Sonderausstellung in der knapp zehnjährigen Geschichte der GRIMMWELT. Ein Imaginarium ist ein Ort, welcher ganz der Vorstellungskraft gewidmet ist, und das ist bei dieser Installation Programm. Ihren Ursprung hat diese Ausstellung im Wandertheater der Zwillingsbrüder Matěj und Petr Forman, das geprägt ist von der Tradition des tschechischen Marionetten- und Puppentheaters.

Josef Sodomka | Das Schiff Geheimnis

Josef Sodomka, Das Schiff Geheimnis

Im Bauch des Schiffes liegt ein Teppich. Wer will, bleibt schon hier in der fantastischen Welt der Brüder Forman und ihrer Freunde hängen und kann sich auf einem Bildschirm das Puppentheaterstück »Das Purpursegel« anschauen. Doch eigentlich ist dieser Bildschirm völlig atypisch für das IMAGINARIUM und bleibt auch die Ausnahme. Denn ansonsten findet sich in der Ausstellung nichts, was an die moderne, digitalisierte Welt erinnert. Sobald man das IMAGINARIUM betritt, befindet man sich in einer Zauberwelt, in der alles handgemacht ist, alles angefasst werden kann und in der mitgemacht werden soll. Holz dominiert als Material und jede Form von Modernität wäre hier fehl am Platz. In einer immer mehr auf das Digitale ausgerichteten Gesellschaft entführt das IMAGINARIUM in eine komplett analoge Welt. Gerade das macht den Reiz der Schau aus.

Es ist eine Spielwiese für große und kleine Kinder, die Matěj Forman und seine Freunde mit dem IMAGINARIUM erschaffen haben. In den 1980er-Jahren gründeten die aus einer berühmten tschechischen Theaterfamilie stammenden Brüder Petr und Matěj Forman, ihr Vater ist der Hollywood-Regisseur Miloš Forman, ihr Wandertheater, dessen Requisiten damals noch in ein kleines Auto passten. In den nächsten 30 Jahren entwickelte sich dieses Wandertheater zu einem »der eigenwilligsten, herausragendsten und bekanntesten Ausnahmeerscheinungen der Theaterwelt der Tschechischen Republik«, wie die Autor*innen Dr. Veronika Hofinger und Jan Šícha im Katalog zur Ausstellung schreiben. Heute reisen die Brüder Forman mit ihrem Wandertheater durch die ganze Welt, in ein Auto passen ihre Requisiten schon lange nicht mehr. Benötigt werden mehrere größere Lkws, um die Bühnenbilder, Requisiten, Marionetten und den eigenen Schuppen mit Tischen und Stühlen, der als Spielort fungiert, von Ort zu Ort zu transportieren.

Petr Forman, Miloš Forman & Matěj Forman bei den Proben für die Jazz Oper Ein lukrativer Spaziergang, Prag 2007

V.l.n.r: Petr Forman, Miloš Forman & Matěj Forman bei den Proben für die Jazz Oper Ein lukrativer Spaziergang, Prag 2007

Doch was passiert mit all den Kulissen und Requisiten, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? »Das IMAGINARIUM ist eine Antwort auf die Melancholie, die manche von uns befällt, wenn sie ausrangierte Bühnenbilder, Requisiten oder Marionetten im Lager sehen. Es überkommt einen das Gefühl, dass es nicht sein kann, dass diese wundervollen Kunstwerke nie wieder zu sehen sein werden. Geschnitzte Objekte, bemalte Tableaus, Werke von erstaunlicher Schönheit«, sagt Matěj Forman im Interview für den Ausstellungskatalog. Und so entwickelte er parallel zur Theaterarbeit seit 2010 mit anderen Künstler*innen die Idee, aus den alten Bühnenbildern des Theaters und weiteren Kunstwerken eine Großrauminstallation zu entwickeln, das IMAGINARIUM.

Die nicht mehr genutzten Kulissen, die sonst auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik in Prag im Ateliergebäude verstauben würden, verzaubern nun Menschen auf der ganzen Welt, indem sie wieder zum Leben erweckt werden und Geschichten erzählen. Dabei erfindet sich das IMAGINARIUM immer wieder neu Die Kasseler Ausgabe der Ausstellung ist genauso einzigartig wie die Dresdner, wo diese im Japanischen Palais als Teil der »Tschechischen Saison« 2023 gastierte, und auch in Paris war das IMAGINARIUM in diesem Jahr zu Gast, bei der Kulturolympiade der Olympischen Sommerspiele. »Wir empfinden es als eine große Freiheit, aus dem Material, das wir aus unserem vollgestopften Lager in einer ehemaligen Papierfabrik mitbringen, am Ausstellungsort eine Großinstallation zu schaffen«, sagt Matěj Forman. Wo welches Werk seinen Platz findet, entscheidet sich oft spontan. Die wichtigsten Utensilien dabei: Hammer und Nagel. Alles andere ist Intuition.

Atelier des Theaters der Brueder Forman und ihrer Freunde

Atelier des Theaters der Brüder Forman und ihrer Freunde in einer ehemaligen Papierfabrik im Zentrum Prags

Die Sonderausstellung im ersten Stock der GRIMMWELT spielt auch immer wieder mit Andeutungen zur Märchenwelt der Brüder Grimm. Es gibt Höhlen zum Verstecken, kleine Bühnen, auf denen der böse Wolf liegt, aber nur zu sehen ist, wenn man den Theatervorhang hochzieht. Mitmachen ist in dieser Ausstellung nicht nur erwünscht, sondern der Zauber erschließt sich erst richtig, wenn man als Erwachsener die über Jahrzehnte aufgebaute Scheu überwindet, im Museum ausgestellte Objekte anzufassen. Kinder sind hier klar im Vorteil. Und wer diese Schwelle einmal übertritt, der landet in einer Zauber- und Jahrmarkt-Welt, die mitreißt. »Plötzlich hat sich dieser Ort der Vermittlung der Sprachwissenschaften und der Grimm’schen Märchen, ein ernsthaftes Ausstellungshaus zur Wissensvermittlung, in einen Spielplatz für Spielwütige und Experimentierfreudige - für Kinder sowie Erwachsene - verwandelt«, schreibt der Geschäftsführer und Programmleiter der GRIMMWELT, Jan Sauerwald, in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog. Es ist ein Eintauchen in eine Fantasiewelt, wie man es sonst nur selten erlebt in einem Museum. Es ist ein großes »Wimmelbild der Handwerks-, Puppen- und Bühnenkunst«, wie Sauerwald es ausdrückt, durch das man wandelt.

Man darf Objekte anfassen, werfen, ziehen, falten, lesen, durchblättern und sogar auf Figuren schießen. Da sind zum Beispiel die Guckkästen, die sogenannten Hybohledy von Pavel Macek, in denen Geschichten, Märchen und Abenteuer entdeckt werden können. Man muss sich nur trauen, den jeweiligen Lichtschalter und die Drehkurbel am Kasten zu betätigen, und schon setzen sich im Kasten die liebe- und fantasievoll gestalteten Szenen in Bewegung. In winzigen, bühnenartigen Räumen sieht man Schüler in der Abendschule, erlebt einen kleinen Horrorfilm oder eine Zirkusaufführung.

An anderer Stelle in der Ausstellung jagt ein Krokodil ein erschrocken wirkendes Männlein auf einem Dreirad, aber nur dann, wenn die Drehscheibe, auf der sie befestigt sind, mit der Hand in Gang gesetzt wird. Erst beim Mitmachen entfaltet sich bei dieser Ausstellung der ganze Charme. In Andrea Sodomkovás Kuriositäten-Kabinett des Jägers, Naturforschers und Sammlers Carl Otto Moritz von Hessen-Kassel darf man zwar nichts anfassen, dafür aber Platz nehmen. Direkt am prasselnden Feuer des Kamins. Aus der Ferne ertönt sanfte Musik, und wenn man sich dann umschaut, entdeckt man allerlei lustige Gestalten an der Wand: Die buckelige Verwandtschaft - oder sind es doch Fabelwesen?

Pavel Macek | Hyboledhy - Mechanische Miniaturwelten

Pavel Macek, HyboledhyMechanische Miniaturwelten

Im Marionettentheater darf Platz genommen und gespielt werden. Renata Lhotáková und Martin Lhoták, beide Größen der tschechischen Marionetten-, Holzspielzeug- und Holzmodellbaukunst und für ihre Arbeit mit dem Bayerischen Staatspreis ausgezeichnet, haben ein Kinder- bzw. Spielzimmer mit wunderschönen Holzspielzeugen, Figuren und Landschaften erschaffen. Hier darf Zirkus, Ritterburg und Puppentheater gespielt werden - alles darf angefasst werden, alles ist aus Holz, jedes Stück ein Unikat. Jeder darf diese Welt für sich entdecken, in seinem Tempo, auf seinen Wegen.

»Im IMAGINARIUM ist es den Besuchenden überlassen, ihre eigenen Wege durch die Ausstellung zu suchen und die Exponate zu entdecken und zu genießen«, sagt Matěj Forman.

  • Barka Zichova | Handpuppentheater

    Barka Zichová, Handpuppentheater

Es ist ein Feuerwerk der Handwerkskunst, das die Künstler und Künstlerinnen über die Jahrzehnte ihrer Zusammenarbeit erschaffen haben. Jede Figur ist ein Einzelstück, jede hat ihr eigenes Leben. Aus alten Eisenbügeleisen zaubert Veronika Podzimková zum Beispiel Enten mit Holzköpfen. Je länger man in diesem Jahrmarkt der Attraktionen bleibt, je mehr man sich traut einzutauchen, desto mehr entdeckt man: Tauchende Schafe, lachende Schweine, raufende Schiffsmatrosen. »Der Alltag ist in diesem bunten Treiben sofort vergessen, und nicht nur Kinderaugen fangen an zu leuchten«, schreibt Sauerwald. Und eigentlich reicht ein Besuch in diesem bunten Treiben nicht aus, denn je länger man bleibt, desto mehr entdeckt man.

Veronika Podzimkova | Tschechischer Teich

Veronika Podzimkovà, Tschechischer Teich

Auch der Katalog »FANTASTISCHE WELTEN - Das IMAGINARIUM des Theaters der Brüder Forman und ihrer Freunde« entfaltet seinen ganz eigenen Zauber, nimmt die Lesenden mit auf eine Reise. In diesem Fall eine Reise zu einigen der ausstellenden Künstler*innen. In zahlreichen Interviews und Reportagen werden sie an ihren Wohn- und Arbeitsorten vorgestellt, wodurch die Leser*innen Einblicke in die Arbeitsweise und das Umfeld des Wandertheaters der Brüder Forman erhalten. Es ist die erste deutschsprachige Publikation zum Theater der Brüder Forman und ihrer Freunde und dem IMAGINARIUM überhaupt.

Das Konzept für den Katalog erdacht und umgesetzt haben Dr. Veronika Hofinger und Jan Šícha. Für die Interviews und Porträts sind sie auf eine Reportagereise durch die Tschechische Republik zu den in Kassel ausgestellten Künstler*innen des IMAGINARIUMs sowie zu dessen Initiator Matěj Forman, dem Produktionsleiter Jakub Hradilek und der Fotografin Irena Vodáková gegangen - mit einem Abstecher nach Sachsen zu der Künstlerin Bärbel Haage -, um sie an ihren Wohn- und Arbeitsorten zu interviewen.

Einblick in das Wohnhaus von Renata und Martin Lhotak

Einblick in das Wohnhaus von Renata und Martin Lhoták

Der Einblick in diese Wohn- und Arbeitsorte zeigt eindrücklich, wie sehr Leben und Arbeit bei den Künstler*innen verwoben ist. Denn sie leben oft selbst wie im Märchen. So beschreiben Hofinger und Šícha die Ankunft bei den Lhotáks als Erlebnis: »Kaum eingetreten, eröffnet sich eine magische Welt.« Und bei deren Tochter Tereza Komárková, einer weiteren beteiligten Künstlerin, bevölkern ihre fantastischen Tiere die Bücherregale im Wohnzimmer. Sie sagt: »Im IMAGINARIUM lassen wir für uns und die Besuchenden Kindheitsfantasien lebendig werden.« Vermutlich ist das das Geheimnis des Erfolgs.

In den Gesprächen mit den Künstler*innen des IMAGINARIUMs wird eines klar: Alle machen das, was sie tun, mit großer Begeisterung. »Wenn man das tut, was einem Spaß macht, und dabei befreundete Menschen um sich hat, ist das Leben schön!«, sagt Renata Lhotáková.

Diese Schönheit und Freude geben sie weiter, mit jeder handgefertigten Figur, Kulisse, jedem Bild. Sie alle erzählen Geschichten, die universell Gültigkeit haben und ohne Sprache funktionieren.

Autorin: Amira El Ahl

Die Ausstellung IMAGINARIUM ist nur noch bis einschließlich 13. Oktober 2024 zu sehen.