Es ist ein immer noch verbreiteter Mythos, dass Jacob und Wilhelm Grimm im Land umherzogen und Erzählungen des einfachen Volkes sammelten. Die Märchen stammten vielmehr aus schriftlichen Quellen oder wurden den Brüdern von verschiedenen Beiträger*innen erzählt.
Diese waren meist
weiblich, jung und entstammten oftmals dem Bildungsbürgertum oder dem
Adel. Die hugenottische Herkunft einiger von ihnen liefert zudem eine
Erklärung dafür, dass viele der Märchenstoffe aus den Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen der französischen Märchentradition entsprungen sind. So lässt sich beispielsweise eine Variante des Rotkäppchens bereits in Charles Perraults Geschichten oder Erzählungen aus alter Zeit
(Histoires ou Contes du temps passé, 1697) finden. Aber auch in Giambattista Basiles italienischer Märchensammlung Pentameron (1634) finden sich bereits Erzählstoffe, die von den Brüdern Grimm wieder aufgegriffen wurden.
Auf die europäischen Quellen deutete auch der Titel der Kinder- und Hausmärchen hin, der eben nicht mit einer Herkunftsquelle und dem Zusatz »Deutsche« versehen war.
Die zahlreichen Märchenbeiträger*innen, die die Brüder Grimm bei der Sammlung unterstützen, sind heute in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbekannt. Dorothea Viehmann gilt als prominenteste »Märchenfrau«, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie auf dem Titelblatt des zweiten Bandes der Kinder- und Hausmärchen abgebildet war. Im Vorwort inszenierten sie die Brüder Grimm als hessische Bäuerin. Allerdings war sie weder hessisch noch eine Bäuerin, sondern eine Schneidergattin aus dem heutigen Kasseler Stadtteil Niederzwehren und dazu noch französischer Herkunft.
Die Schwestern Marie, Amalie und Johanna Hassenpflug sowie Dorothea Wild (die spätere Ehefrau Wilhelm Grimms) und ihre Familie trugen einige der populärsten Märchen bei. Sie gehörten ab 1808 zu einer Art »Märchenkränzchen«, das sich in der Wohnung der Grimms in der Kasseler Marktgasse traf. In lockerer Runde unterhielt man sich über das Tagesgeschehen, erzählte sich aber auch Märchen, die die Brüder Grimm aufzeichneten. Der Kreis bestand aus Angehörigen bürgerlicher Schichten in jugendlichem Alter – genau wie Jacob und Wilhelm Grimm selbst.
Auch die adelige Familie der Schriftstellerin Annette von Droste zu Hülshoff sammelte zahlreiche Märchen: ihre Schwester Jenny, ihre Onkel August und Werner von Haxthausen sowie deren Schwester Ludowine und weitere Familienmitglieder.
Die frühesten Märchenaufzeichnungen zur Sammlung der Brüder Grimm lieferte der romantische Maler Philipp Otto Runge. Dessen plattdeutsche Märchen Van den Fischer un siine Fru und Van den Machandel-Boom dienten den Grimms als Idealbild bei ihrer weiteren Suche nach Märchen.
Bei dem pensionierten Dragonerwachtmeister Johann Friedrich Krause handelte es sich um den ältesten Beiträger und darüber hinaus einen der wenigen aus ärmlichen Verhältnissen. Für seine Märchenbeiträge erhielt er Wilhelms abgelegte Hosen.
Die spätere Frau Wilhelm Grimms trug als junges Mädchen die Urfassung des Märchens Frau Holle für die Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen von 1812 bei. Ab der zweiten Auflage wurde das Märchen ergänzt und verändert. Vorläufer des Motives von zwei ungleichen jungen Mädchen finden sich in italienischen und französischen Texten sowie älteren deutschen Märchen.
Zusammen mit ihrer Familie gehörte die junge, bürgerliche Frau zum frühen Märchenkreis rund um die Brüder Grimm. Ihre hugenottischen Wurzeln erklären die Ähnlichkeiten der von ihr stammenden Märchen zu französischen Erzählstoffen. Auch beim Dornröschen lassen sich deutliche Spuren u.a. von Märchen aus Charles Perraults Sammlung Histoires ou Contes du temps passé finden, was auch die Grimms selbst in den Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen beschrieben.
Die ältere Schwester von Annette von Droste zu Hülshoff steuerte mehrere Märchen zu der Sammlung der Brüder Grimm bei. Die zertanzten Schuhe wurde im zweiten Band der ersten Auflage von 1815 veröffentlicht und in den folgenden Jahren von Wilhelm Grimm bearbeitet. Die Original-Handschrift von Jenny von Droste zu Hülshoff ist im Grimm-Nachlass erhalten.
Der romantische Maler lieferte mit dem Zaubermärchen in plattdeutschen Dialekt eine Art Idealtypus des Märchens für die Brüder Grimm. Vom Fischer und seiner Frau (Original: Von den Fischer und siine Fru) wurde in der ersten Auflage der Kinder- und Hausmärchen gedruckt und in späteren Auflagen korrigiert und geändert.
Die begabte Erzählerin lieferte den Brüdern Grimm etwa 40 Märchen, von denen ein großer Teil ab dem zweiten Band 1815 aufgenommen wurde. Die von ihr beigetragene Version von Der Teufel mit den drei goldenen Haaren ersetzte ab der zweiten Auflage der Kinder- und Hausmärchen 1819 zwei bisher gedruckte Texte mit ähnlichen Motiven. Einzelne Elemente des Märchens lassen sich beispielsweise bereits in mittelalterlichen Quellen und einem tschechischen Roman finden.
Der Onkel von Annette von Droste zu Hülshoff übersandte mehr als 60 Märchenbeiträge seiner Familie, von denen ihm selbst sicher aber nur vier zugeordnet werden können. Vermutlich stammt von ihm auch Die Bremer Stadtmusikanten, dessen Herkunft in den Anmerkungen der Brüder Grimm mit »aus dem Paderbörnischen« angegeben ist. Hier sind zudem ältere literarische Quellen des Textes genannt. Das Märchen ist ab der zweiten Auflage in die Grimm`schen Märchen-Sammlung aufgenommen.